Wofür Einsamkeit gut ist – Gehirn-Geschichten (2)
Datum: 24. März 2025

Mein Gehirn ist den ganzen Tag damit beschäftigt, zu quasseln.
Anstatt sich auf die wesentlichen Aufgaben zu konzentrieren, hält mein Gehirn mich mit Quängeleien und Forderungen auf Trab.
„Ich bin alleine und brauche Gesellschaft. Ich habe keine richtigen Hobbies. Ich bin überfordert von meinem Alltag. Meine Arbeit geht mir auf den Keks. Nichts macht mich glücklich. […] Ich kann nicht, ich will nicht, ich habe keinen Bock.“
Gerne auch mal in der umgekehrten Form:
„Ich muss Freunde finden. Ich muss einen Partner finden. Ich muss Sachen ausprobieren, um neue Hobbies zu finden. Ich muss meine alten Hobbies wieder aufleben lassen. Ich muss mich auf meine Arbeit einlassen. Ich muss mich selber glücklich machen. Ich muss in meiner Mitte bleiben. Ich muss mehr rausgehen. Ich muss mich bewegen. Ich muss mich um mein Leben kümmern. Ich muss den Arsch hochkriegen. […] Ich muss doch bloß dies, ich muss doch bloß jenes, und dann wird alles gut.“
Mein Gehirn wird auch nie müde, zu kritisieren, was ganz konkret besser laufen müsste:
„Achja, und herrje, ich bin schon wieder seit Wochen nicht Schwimmen gewesen, die Spülmaschine hat sich nicht von selbst ausgeräumt, die Wollmäuse auf dem Fußboden feiern eine Party mit den Haaren die mir vom Kopf gefallen sind, die Pflanzen sind so trocken, das Klo ist dreckig, und verdammt, ich habe auch 20 Bücher herumliegen, die ich noch nicht gelesen habe. Ich wollte doch eigentlich auch noch an meinem Projekt arbeiten, vielleicht einen Blogbeitrag schreiben, am Kurskonzept arbeiten, oder ein anderes LMS testen. Nebenbei, ist übermorgen auch eine Deadline, und ich habe nichts vorzuweisen. […] Der Tag ist schon wieder zur Hälfte vorbei, und ich habe mir immer noch nicht die Zähne geputzt, spinne ich eigentlich?“
Man kann sich vielleicht vorstellen, dass ich viel Zeit mit solchen Gedanken verbringe. Wenn ich mit jemandem spreche, der wissen will, wie es so läuft, ist es meistens auch genau so etwas, was dann aus meiner Futterluke sprudelt.
Viel Zeit verbringt mein Gehirn aber auch damit, auf dem Handy auf und ab zu scrollen – in der Hoffnung, dass jemand ganz Bestimmtes sich endlich mal wieder meldet. Im Zweifelsfall nimmt es dann aber auch Ablenkung durch andere entgegen, notfalls reicht da auch ein YouTube-Video.
Ich wache morgens auf, und will eigentlich gar nicht aufstehen, beim ersten Kaffee schreibe ich schon meinem besten Freund das erste „wuuääääh“ und „miiiäääähhh“.
Fällt dir daran etwas auf?
Mein Hirn beschäftigt sich mit allem. Nur nicht damit, seinen eigentlichen Job zu machen. Es füttert bloß meinen niemals zufriedenen, quängelnden und strampelnden inneren Kritiker. Darüber freut sich mein Ego. Und ich fühle mich mies.
Vor etwa 1,5 Jahren bin ich umgezogen und dachte, ich wäre stabil und mein Leben könnte im Grunde nicht schlechter werden – nur besser. Aus ganz unterschiedlichen Gründen hat es sich angefühlt, als wäre es Schicksal, dass ich diesen Schritt mache, und dass ich das unbedingt machen muss.
Letztenendes ist alles anders gelaufen, als ich es mir jemals ausgemalt hätte, das Chaos ist immens und obwohl ich dachte, ich habe genug Erfahrung mit dem Alleinsein, um damit umzugehen, bin ich so viel einsamer als ich es jemals zuvor in meinem Leben gewesen bin.
Ich wurde so sehr auf mich selbst zurückgeworfen, dass mir nichts anderes übrig bleibt, als den Blick ganz allein auf mich und nach innen zu richten.
In den letzten Monaten ist es mir oft durch den Kopf gegangen, dass ich vielleicht genau dafür exakt da hin geführt wurde, wo ich jetzt bin.
Und heute kam mir möglicherweise die entscheidende Einsicht: wenn in meinem Leben mehr los wäre, dann hätte ich vielleicht niemals in diesem Ausmaß bemerkt, wie viel mein Gehirn tatsächlich so vor sich hin lamentiert. Dass es mir gern Schwachsinn erzählt, war mir schon lange bewusst. Aber in der Einsamkeit ist es so viel lauter – ich kann es nicht mehr überhören. Man könnte es vergleichen mit dem beständigen, chaotischen Gemurmel, das in der Mensa in der Mittagszeit allgegenwärtig ist. Mehr noch, es ist wie ein monotones, auf- und abschwellendes Summen. Es überrollt mich mit all seiner Macht, während ich mich bemühe – und besser darin werde – mich davon nicht mehr so mitreißen zu lassen.
Vielleicht soll ich es hören. Vielleicht musste ich deshalb allein stranden und im Stich gelassen werden. Vielleicht ist das die Hilfe der Götter, um die ich immer gebeten habe – die Chance, mich von diesem Blödsinn in meinem Kopf endgültig zu distanzieren, und möglicherweise die einzigartige Gelegenheit, meine wahre innere Stimme zu finden.
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